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Es werden Posts vom Februar, 2020 angezeigt.

Letzte Gespräche

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Es wird Zeit, Abschied zu nehmen, denn heute ist unser letzter Tag hier in Kjerringøy, morgen geht es zum Flughafen und dann zurück nach Hause. Zuerst müssen wir aber noch Kåre interviewen, einen 84-jährigen Fischer, der sein ganzes Leben in Kjerringøy verbracht hat. Am Strand von Låter erinnern sich Kåre und Svein an ihre Jugend und wir bekommen als Zugabe eine Geistergeschichte über eine mysteriöse weiße Frau erzählt.  Es wird eine Menge sein, das wir hier vermissen - die unberührte Natur, die Stille, unsere Freunde und die netten Menschen. Elchwurst und Hering zum Frühstück. Regen, Schnee, Wind und tiefer Frost - manchmal alles an einem Tag.  Das Nordlicht hat sich an einem Abend in all seiner Fülle gezeigt und hat doch sein Geheimnis für sich behalten. Warum konnten wir es manchmal hören und ein anderes Mal nicht? Wir werden diese Sache weiter erforschen - in einem Kunstprojekt, für das unsere Untersuchungen hier in Norwegen die Basis bilden. Es wird im kommenden Winter zu se

Das Nebelhorn von Kjerringøy

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Eis nimmt hier die unglaublichsten Formen an. Nie habe ich Eis gesehen, das dünner ist, hauchzart, wie eine gefrorene Seifenblase. Auf dem Foto sieht man ein Eisstück mit eingefrorenen Luftblasen. Es ist so kalt, dass die Blasen beim Aufsteigen einfrieren, bevor sie an die Wasseroberfläche gelangen können. Rainer und ich fahren in Richtung Øyjord - Inselerde - auch die Straße besteht aus blankem Eis. Der Fjord ist zur Hälfte eingefroren. Im stürmischen Wind versucht Rainer, Aufnahmen zu machen. Die Eisstücke auf dem Fjord bewegen sich wie eine sämige, weiße Flüssigkeit, bevor sie an Land zu bizarren Platten gefrieren. Die Landschaft ist kalt, blau und leer. Ich gehe am gefrorenen Ufer spazieren und komme mir vor wie auf einem fremden Planeten. Wir mikrofonieren das Eis, doch es schweigt und gibt seine Geheimnisse nicht preis. Ganz anders als Ulf. Wir treffen den Bootsbauer in der alten Schule von Kjerringøy, die jetzt ein Museum ist. Von ihm wollen wir Geschichten über die

In der Kieselsteinbucht

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Es soll hier einen Strand geben, da klemmt ein großer Stein in einer Felsspalte. Bei Flut werde er vom Wasser angehoben und fange an zu sprechen. Irgendwo in der Nähe von Låter soll das sein. Rainer und ich fahren sofort nach dem Frühstück dorthin - das heißt, es gibt eine kleine Verzögerung, weil das Auto wieder nicht anspringt. Vielleicht ist es zu kalt, nach der sternklaren Nacht hat es heute ordentliche Minusgrade. Doch dann springt die Klapperkiste schließlich doch an und wir rollen los. Wir haben einen ungefähren Tipp bekommen, wo der Strand sein soll. Von der Landstraße aus stapfen wir durch verharschten Schnee eine Fuchsfährte entlang. Seltsam, dass uns immer die Tiere den Weg weisen. Tatsächlich erreichen wir die Rullesteinvika, die Kieselsteinbucht, nach etwa einer halben Stunde.  Die Wellen rasen in die kleine Felsspalte und bewegen den Stein. Der gibt ein grollendes, tiefes Geräusch von sich. Eine ganze Weile bleiben wir hier und hören dem Felsen zu und machen To

Ein magnetischer Sturm

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Den ganzen Tag rufen wir das Weltraumwetter mit dem Handy ab. Heute sieht es gut aus: Ein KP-Index von 5 ist vorhergesagt. Das bedeutet, wir werden aller Wahrscheinlichkeit nach ein Nordlicht sehen können. Schon früh am Abend verlassen wir das Haus. Rainer fährt in Richtung Tårnvik, um dort störungsfrei eine Nordlicht-Tonaufnahme machen zu können. Gunn-Marit und ich gehen an den Strand. Und tatsächlich: Über den Himmel spannt sich ein grüner Bogen, der auch mit bloßem Auge gut zu erkennen ist. Sterne funkeln durch die Lichtfäden, die sich immer wieder neu bilden. In der kalten, klaren Luft schimmern die hellen Streifen. Sie überkreuzen sich, tasten nach unten und verblassen dann wieder. Wir holen das Auto und gemeinsam fahren wir über die dunkle Landstraße. Gunn-Marit schaltet die Scheinwerfer aus, so rollen wir, geleitet vom Nordlicht, die schmale Küstenstraße entlang. Nichts ist zu hören, außer das unter den Reifen zerberstende Eis, während der Himmel in Flammen steht. 

Getrennte Wege

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Bereits nachmittags um drei Uhr werden die Schatten lang, kurz danach geht die Sonne unter. Rainer hat morgens früh das Haus verlassen, um mit Svein und Ketil fischen zu gehen. Ich bleibe allein zurück. Durch das Eis sind alle Wege beinahe unbegehbar. Ich rutsche breitbeinig wie eine Comic-Figur zur Landstraße - die ist gestreut und sie soll meine Wanderstrecke für heute sein. So laufe ich die einsame Straße entlang, aber dann sehe ich Rentierspuren, die zwischen ein paar Birken verschwinden. Ich gehe ihnen nach und gelange an einen herrlichen Strand. Die Sonne scheint, leise plätschern die Wellen ans Ufer, das gesäumt ist von Muscheln. Im klaren Wasser treibt Tang wie Frauenhaar. Es ist Ebbe und ich spaziere über den Meeresboden zu einer kleinen Felseninsel und wieder zurück zum hellgelben Strand. Er hat eine seltsame Farbe und Beschaffenheit, dieser Strand. Ich bücke mich und entdecke, dass ich nicht auf Sand stehe, sondern auf Millionen von Korallenstücken. Der ganze Strand beste

Geschichten einsammeln

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Beim Blick durchs Küchenfenster entdecke ich die kleine Rentierherde wieder, die seit Tagen äsend unser Haus umkreist. Mein Lieblingsrentier ist ein komplett weißes Kalb mit einem vorwitzigen schwarzen Ohr. Die Tiere sind nicht unbedingt gerne gesehen. Letztes Jahr fraß ein Rentier Gunn-Marits Erdbeerpflanzen ab, seitdem haben sie Hof-Verbot. Dass hier überhaupt Erdbeeren wachsen, haben die Einwohner Kjeringøys dem Golfstrom zu verdanken, der das Klima an der Küste verhältnismäßig mild macht. Reif werden die Beeren hier alle erst im Sommer. Dann gibt es einen Monat der Fülle, bevor der erste Schnee wieder einsetzt. Ein Anruf bei Rent a Wreck ergibt nicht viel Substanzielles. "Zieht das Auto doch einfach an, dann startet es schon", ist die Auskunft. Gesagt, getan - Svein holt den Trecker raus und tatsächlich bekommen wir das Auto zum Laufen. Ich bin trotzdem ein bißchen beunruhigt, was wir machen, wenn wir an einer einsamen Küste liegen bleiben, wo gerade kein Trecker

Die lustigen Senioren und ihr Boot

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Die Fischbauern heutzutage sind Ärzte und Kaufleute - aber sie haben immer noch ein Boot. Und heute ist der Tag, an dem das Boot für die neue Saison vorbereitet wird. In einer Scheune wuseln zahlreiche Senioren um ihr Fembøring herum, ein traditionelles Fischerboot, das zu Ausflugsfahrten bei schönem Wetter benutzt wird. Mit reichlich Ankerschnaps an Bord geht es später im Frühjahr auf Tour in Richtung Lofoten, wobei der Anker immer dann herabgelassen wird, wenn der Durst zu groß wird. Beim Arbeiten bekommen wir Fisch-Geschichten erzählt. Leif, ein verwittert aussehender Zahnarzt und Sohn eines Fischers, berichtet von der Fahrt im Ruderboot rund um Spitzbergen, wo ein neugieriges Walroß beinahe das Boot zum Kentern brachte. Jan, Radiologe aus Bodø, kann einige Worte Deutsch, die er von seinen Kollegen im Krankenhaus gelernt hat - allesamt Deutsche. Falls sich einer wundert, wo unsere Krankenhausärzte geblieben sind. Während in der Scheune der Geruch nach Lösungsmitteln b

Noch ist Eis da

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Beflissen trippelt er am Eisstrand von Fjaere hin und her. Dann lässt sich etwa spatzengroße Vogel auf einem schwimmenden Geflecht von Blasentang nieder zum schlafen. Ab und an wird er von einer Welle überspült und geweckt. So geht das über lange Zeit. Ich schaue mir den kleinen Vogel genau an, während Rainer die Aufnahmegeräte betreut. Später schlage ich im Vogelbuch nach: Es ist ein Fjaereplytt - ein Küstenbewohner und Zugvogel. Wahrscheinlich hat ihn der Sturm hierher geweht, so früh im Jahr. "Eigentlich ist der Februar und März hier der Garant für Schnee", sagt Gunn-Marit. Doch in diesem Winter ist vieles anders - es ist außergewöhnlich warm. Mit Svein unterhalte ich mich am Küchentisch. Er arbeitete früher in Spitzbergen als Kartograph für die staatliche Vermessungsbehörde: "Wir hatten lasergestützte Messmethoden, mit denen wir einen Anstieg von Spitzbergen registriert haben. Jedes Jahr mehr, denn die Gletscher schmelzen. Die ganze Insel wird dadurch lei

Ein hartes Leben im Norden

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Nachts werde ich wach und es ist dunkel. Normalerweise brennt hier in jedem Haus das Licht, egal zu welcher Uhrzeit. Strom ist billig, im Sommer, wenn alle Wasserkraftwerke in Betrieb sind, gar umsonst. Lediglich eine Grundgebühr ist fällig. Jetzt ist der Strom ausgefallen. Das letzte Mal, als ich hier war, hatten wir tagelang kein Wasser, weil der Trinkwassersee in den Bergen bis zum Grund gefroren war. Nun also keinen Strom. Ich drehe mich um und schlafe weiter - machen kann man sowieso nichts.  Es war zu allen Zeiten hart, hier zu leben. Im Jahr 1432 strandet der italienische Weinhändler Pietro Querini mit seinem leckgeschlagegen Schiff auf den Lofoten. Querini findet sich am Rande der bekannten Welt wieder, die mit Hexerei und Seeungeheuern verbunden wird. Und doch wähnt er sich im Paradies: "Vom 3. Februar bis zum 14. Mai verschlug es uns in den ersten Kreis des Paradieses, der Schande und Unehre auf die Staaten Italiens wirft. Die Männer fischen und ihre Frauen baden

Dicke Fische

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Das leise Rufen des Polarlichts hat Rainer auf dem Computer mit einem Spezialprogramm von den Umgebungsgeräuschen getrennt. Das Diagramm des Geräuschs sieht selbst aus wie ein Nordlicht. Mit großer Begeisterung spielt Rainer es immer wieder auf der Stereoanlage ab.  Jetzt ist es auch hier richtig Winter geworden. Der feuchte Nebel hat sich verzogen und die Wolken rießen immer mehr auf. Wir nutzen das schöne Wetter, um Aufnahmen an einem von Eis bedeckten Fluß zu machen. Doch das Wasser dort ist so still, dass einfach gar nichts zu hören ist. Dann ziehen wir weiter zum Hafen, machen aber vorher noch einen Stop im Supermarkt. Der ist klein, aber unglaublich gut sortiert. Der Laden versorgt alle auf der Halbinsel hier, die nicht die Fähre zum Festland nehmen können. Mit Blaubeerdickmilch, Rote-Beete-Salat und dem obligatorischen Becher Kaffee, der hier überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit getrunken wird, gehen wir zum Jachthafen. Auf einer Bank lassen wir uns unser Mittagessen im

Und dann ist es plötzlich da

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Sobald es hell geworden ist, fahren wir los. Am Meer nehmen wir das Rauschen der Wellen auf. Rainer klebt ein Kontaktmikrofon auf einen Stein. Die Aufnahme wird uns später zeigen, wie der Stein das Meer hört. Auf den Granitfelsen liegt Eis. Es sieht aus, als ob es langsam ins Meer fließt. Eine kalte, harte Decke, die sich eng an das Gestein schmiegt. Unter dem Eis bewegen sich Luftblasen langsam hin und her. In dieser Einsamkeit meint man, die Natur selbst atmen zu hören. Die Farbe des Meeres ändert sich ständig. Einen Moment ist es grau, um beim nächsten Hinsehen in ein strahlendes Hellblau zu wechseln. Dann wieder erscheint eine Wolke, aus der es zu regnen anfängt. Entlang des Regenschleiers fließen schwefelgelbe Sonnenstrahlen ins Wasser. Wir stehen still. Es ist die Landschaft, die sich bewegt.  In einem kleinen Wäldchen folge ich einer Elchfährte, entdecke aber nur den Kot der Tiere, perfekte ovale Bällchen, die fast wie Samen aussehen. Später sehen wir die Elche auf der Str

Nebel und graue Theorie

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Es ist länger Nacht als Tag. Und wenn es dann am späten Vormittag hell wird, wird das Licht durch dicke Wolken und Nebel abgeschirmt. Eigentlich sollte um diese Jahreszeit alles gefroren sein. Doch die Temperaturen liegen rund um Null Grad. Viel zu warm hier im Norden. Im Schneeregen fahren Rainer und ich in Richtung Tårnvika, der letzte Ort, den man noch per Straße erreichen kann. Im Vormittagsprogramm des norwegischen Fernsehens läuft täglich eine Sendung mit dem Titel: "Unglaublich, dass hier einer wohnt". Obwohl Tårnvika nach deutschen Maßstäben durchaus in diese Kategorie fallen könnte, ist der Ort hierzulande nichts Besonderes. Ein paar Häuser, einige alte Fischerhütten, die zu Ferienhäusern umgebaut wurden und die obligatorische Milchkanne bilden den Ort. Diese Milchkannen stehen in ihrem eigenen kleinen Häuschen am Straßenrand. Warum wissen wir nicht. Zwischen Tårnvika und Strånda, wo wir wohnen, gibt es einen Abschnitt ohne Hochspannungsmasten. Hier werden

Die Reise beginnt

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  Das ist der letzte Sonnenstrahl, aufgenommen aus dem Fenster unseres Fluges nach Bodø, in der letzten Reihe. Neben uns sitzt ein Typ mit Fransenlederjacke, den Kopf an den Vordersitz gelegt, augenscheinlich einen heftigen Kater auskurierend. Und während sich der Norweger in der Reihe neben mir Chips und Rotwein schmecken lässt und auf seinem Computer einen Fantasy-Film schaut, denke ich an die lange Anreise zurück, die wir für heute schon hinter uns haben. Unser Auto haben wir in Frankfurt auf dem bewährten Parkplatz abgestellt. Der wird von zwei wirklich finster aussehenden Albanern betrieben. Bei denen bricht bestimmt keiner ein, denke ich mir - unser Auto ist also in Sicherheit. Die Organisation der beiden ist perfekt - pünktlich werden wir, zusammen mit drei gut gelaunten Polen, zum Flughafen gefahren. Dann checken wir ein, sitzen im Flugzeug und warten, dass es losgeht. Wir warten. Jetzt warten wir immer noch, denn ein Koffer muss wieder ausgeladen werden. Dann werden alle Ko