Ein hartes Leben im Norden


Nachts werde ich wach und es ist dunkel. Normalerweise brennt hier in jedem Haus das Licht, egal zu welcher Uhrzeit. Strom ist billig, im Sommer, wenn alle Wasserkraftwerke in Betrieb sind, gar umsonst. Lediglich eine Grundgebühr ist fällig. Jetzt ist der Strom ausgefallen. Das letzte Mal, als ich hier war, hatten wir tagelang kein Wasser, weil der Trinkwassersee in den Bergen bis zum Grund gefroren war. Nun also keinen Strom. Ich drehe mich um und schlafe weiter - machen kann man sowieso nichts. 


Es war zu allen Zeiten hart, hier zu leben. Im Jahr 1432 strandet der italienische Weinhändler Pietro Querini mit seinem leckgeschlagegen Schiff auf den Lofoten. Querini findet sich am Rande der bekannten Welt wieder, die mit Hexerei und Seeungeheuern verbunden wird. Und doch wähnt er sich im Paradies: "Vom 3. Februar bis zum 14. Mai verschlug es uns in den ersten Kreis des Paradieses, der Schande und Unehre auf die Staaten Italiens wirft. Die Männer fischen und ihre Frauen baden nackt ohne Scheu. Sie sind hilfsbereit und unschuldig." Die Gesellschaft, die Querini hier beschreibt, sind die Fischerbauern der Lofoten. Die Frauen versorgen die Farm, während die Männer ein Gutteil des Jahres auf dem Meer fischen. Die Fische werden auf Gestellen getrocknet und dann zusammen mit Lebertran in großen Schiffen, so genannten Jekte, nach Bergen verschifft. Das ganze Dorf rüstet die Jekte aus und stellt die Matrosen, die die gefährliche Fahrt durch die arktische See wagen. In Bergen wird der Fisch verkauft und vom Erlös wird das lebensnotwendige Getreide für die Daheimgebliebenen gekauft. Geht eine Jekt unter, so heißt das Hunger und Elend für das Dorf. Und doch bedeutet das genossenschaftliche Modell des Jekte-Handels das Überleben in einer äußerst feindlichen Umwelt.
Heute sind wir weit von Überlebensfragen entfernt. 
Noch ganz erfüllt von den tollen Informationen über die Seefahrt im Norden steigen wir ins Auto und fahren zurück auf unsere Insel. Es hat angefangen zu schneien. Riesige Flocken wirbeln um unser Auto. In kürzester Zeit verschwindet die Landstraße unter der weißen Decke. Das Schneegestöber ist so dicht, dass man beinahe nichts mehr sehen kann. Der Schnee kommt mit solcher Macht, dass ich befürchte, mit dem Auto stecken zu bleiben, so hoch verschneit ist alles. Schließlich schaffen wir es nach Hause. 






Am Abend besuchen wir Eva. Die alte Dame lebt alleine in einem tief verschneiten Tal und hat gerne Gesellschaft. Svein hat sie zum Supermarkt gefahren. Die Erdbeeren, die sie dort gekauft hat, möchte sie nun mit uns teilen. In der gut geheizten Stube sitzen wir auf dem Sofa. Mein Norwegisch ist nicht so gut, dass ich viel verstehen kann. Eva hat weit auseinanderstehende blaue Augen, kurze graue Haare und nur noch wenige Zähne. Sie hört auch nicht gut. In ihrem grauen Strickpullover sitzt sie im Sessel und vielleicht ist sie froh über die Gesellschaft oder aber sie ist misstrauisch, wer Rainer und ich wohl sind. Genau kann man es nicht sagen. In einer Ecke der Stube sind vier Bilder. Eines zeigt Eva im Konfirmandenkleid, eines Eva als Braut mit ihrem Mann. Auf dem dritten ist sie eine alte Frau, neben ihr sitzt ein Mann im Rollstuhl. Auf das vierte Bild hat sie drei Schwäne gestickt. Ein ganzes Leben in vier Bildern, ein Leben, das wohl nicht immer glücklich war. Aufgewachsen als ungeliebtes Pflegekind zieht es sie hinaus aufs Meer. Als Serviererin arbeitet sie auf den Hurtigruten-Schiffen, die nach Svalbard fahren. Das bedeutet sieben Tage die Woche, sechzehn Stunden am Tag arbeiten - ein ganzes Jahr lang. Später fährt sie auf Handelsschiffen hinaus in die Welt nach New Orleans und Argentinien. Nein die Dunkelheit im Winter, die sei nicht gut, die bringe Müdigkeit, sagt sie. Und dass man mit dem Nordlicht keine Späße treiben dürfe und vor allem nicht dem Nordlicht winken. Mit dieser Aufnahme von Eva, wie sie in ihrem breiten Kjerringøy-Dialekt vom Nordlicht erzählt, fahren wir müde nach Hause und fallen ins Bett.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Liebe des Grafen Zahl

Nordwärts

Zaunbäuerin