Nordwärts

 


An diesem ersten Tag im Norden wird tatsächlich ein Schneebaby geboren. Doch dazu später. Erst einmal machen wir uns um 5.30 Uhr morgens auf den Weg nach Frankfurt. In einer Frühlingsregenflut fahren wir zum bewährten Parkplatz und mit dem bewährten Shuttlebus aufs Flughafengelände. Im Bus schaut mich eine blonde Frau strahlend an. Ich merke, sie möchte mir unbedingt etwas erzählen und ich täusche mich nicht. Sie ist auf dem Weg in die Karibik, ihr Mann hat ihr eine Kreuzfahrt zum 60. Geburtstag geschenkt. Am Flughafen trennen sich unsere Wege – sie fliegt nach Süden, wir nach Norden.

 

Unser erster Flug bringt uns nach Oslo. Seltsam – ich habe den Eindruck, dass die gleiche Reisegruppe, die uns schon vor vier Jahren begleitet hat, wieder im Flieger sitzt. Drei Männer aus der Vorderpfalz, die wohl beruflich nach Oslo unterwegs sind und die über ihre Arbeitskollegen sprechen. Mir kommen die Schicksale vage bekannt vor. Vier Jahre sind seit dem letzten Mal vergangen und inzwischen hat Dirk gar keine Zähne mehr und Ralf hat sich scheiden lassen.

Im Osloer Flughafen lassen wir es gemütlich angehen. Das Gepäck, so haben wir uns vorher bei der Fluggesellschaft informiert, ist durchgecheckt und die umständlichen Zollformalitäten entfallen daher. Warum es trotzdem anders kommt, schreibt Rainer weiter unten.

 


 

Wie sehr haben wir uns doch an Europa gewöhnt, an das problemlose, grenzenlose Reisen. Warum möchten manche wieder in die Zeit der verschiedenen Währungen, Zollbestimmungen und Grenzkontrollen zurück? In unserem Flugzeug nach Bodo sitzen alle Nationalitäten zusammen, viele junge Leute mit schicken Outfits. Der Typ, der damals vor vier Jahren seinen Rausch ausschlief, fehlt dieses Mal. Vielleicht hat er seinen Flug verpasst.

 

Als wir um 17.30 Uhr in Bodo ankommen, geht die Sonne gerade unter. Die Polarnacht verabschiedet sich schnell und es hat, untypisch für die Jahreszeit, auch ein mächtiges Tauwetter eingesetzt. Der Schnee schmilzt und gefriert in der Kälte der Nacht zu blankem Eis.

 


 

Auf unserem Weg nach Kjerringøy scheint der Vollmond auf die vereisten Gipfel. Und als wir schließlich auf dem Bauernhof von Svein und Gunn Marit ankommen, wird ein Kälbchen geboren. Noch etwas unsicher steht der Kleine auf seinen Beinen. So ganz begreift er noch nicht, wie er an das Euter seiner Mutter gelangen kann. Sicherheitshalber wird an allem gesaugt, was vage an eine Zitze erinnert.

 

Das ist also das erste Schneebaby. Ich denke, es werden weitere erscheinen. Für heute geht es ins Bett. Der KP-Index ist niedrig, das Nordlicht lässt sich nicht blicken und so schlafen wir unbehelligt ein.

 

Aber vorher kommt noch Rainer zu Wort:


Kjerringøy Februar März 2024

Es gibt sicherlich Erlebnisse, die man sich mehr wünscht, als das von dem hier zu erzählen ist, aber irgendwie gehört es dazu in den Norden zu fliegen und darum muss es hier erzählt werden.
Nach Norden zu fliegen heißt die letzte Gelegenheit zu nutzen noch schnell Spirituosen zu kaufen, bevor es in das Reich der verordneten Abstinenz geht. Nicht das ich überhaupt Wein trinken wollte während der Fastenzeit, also noch bis Ostern, es geht vielmehr darum ein Gastgeschenk mitzubringen. 

 

Kurzum, es gehört dazu in Oslo während des Zwischenstopps zwei Flaschen Rotwein zu kaufen. Die sind erstaunlicherweise günstig im Vergleich zum Angebot auf dem Flughafen in Frankfurt. An der das gehört irgendwie auch dazu nach Norden zu reisen, zeigt sich wieder einmal dass die Vorstellung von Service zwischen Deutschland und Norden soweit auseinander liegen, dass man gleichsam zum Mond reisen könnte. Dort würde man vermutlich auch nicht hilfsbereiter empfangen als im Tax-free in Oslo. 

 

Immerhin stehen hier direkt drei Mitarbeiter an der Kasse und helfen zurerst die Boarding Card einzuscannen, als Beweis, dass ich rechtlich gesehen gerade im internationalen Ausland bin und damit das Recht habe hier überhaupt zu kaufen. Danach geht das Bezahlen gewohnt schnell von der Hand. So gesehen bin ich dann doch schon im digital durchgetakteten Norden angekommen. Hier wird seit Äonen mit Karte bezahlt. Digital, schnell, sicher.
Was den Service angeht sehen sich die drei nach dem Bezahlen allerdings nicht zu weiterem Service verpflichtet. Das soll noch Folgen haben.
 

Wir genießen noch einen Augenblick des Überflusses und machen uns dann auf den Weg zum nächsten Gate. Bodo! Wir kommen!
 

Da geht aber erst einmal nichts weiter, im wörtlichen Sinn. Was wir nicht auf dem Schirm haben ist nämlich, dass in der Etage unter uns noch unser Gepäck wartet. Das muss von uns selbst durch den Zoll getragen und danach wieder aufgegeben werden. Die beste aller Ehefrauen ist nicht erbaut, beugt sich aber der Macht. Wir „droppen“ also unser Gepäck am Abflugschalter. An dem Schalter alter Schule mit echtem, freundlichen Personal. Selbst „droppen“ am schnellen neumodischen Selbstbedienungsschalter hat uns das System nicht zugetraut. Wieso weis der Himmel oder das System. „Das geht mal so und mal so“, erklärt die freundliche Servicedame.
 

Sekunden später stehen wir wiederum am für den Abflug zuständigen Sicherheitsschalter und legen  unser Handgepäck aufs Band und mir wird schlagartig klar, dass die Tüte mit den Flaschen Rotwein und ich uns hier wieder trennen müssen. Die Tüte ist nicht versiegelt, das hatte das zahlreiche Kassenpersonal im Tax-Free Shop noch machen müssen. Haben sie aber nicht. Ich stehe am Abflugschalter, also offiziell nicht mehr im namenlosen Ausland. Der Weg zurück zur Kasse ist streng bewacht und verboten. So wird die Weiterreise mitsamt Gastgeschenk hier nur ohne Gastgeschenk weitergehen. Vielleicht freut sich jemand über den Rotwein der am Band stehen bleiben muss. 

 

Eine Stunde später sitze ich im Flieger. Mein Blick geht aufs Meer hinaus mit unzähligen kleinen grauen schneebedeckten Felseninseln. Dieser Blick  gehört sicher zu den Erlebnissen die ich mir immer wieder wünsche. So wie die Ruhe in mir, die sich damit einstellt. Nach Norden zu fliegen heißt die Ruhe wiederzufinden.


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