Auf dem Berg


Als ich morgens aufwache, scheint die Sonne aus einem Wolkenloch auf die verschneiten Bergspitzen. Heute wird gewandert. Wanderwege sind hier höchstens Pfade, die sich durch Wachholder- und Blaubeer-Gestrüpp winden. Der Untergrund besteht aus rutschigen, vereisten Felsen. Gunn Marit hat sich einen Tag freigenommen und so gehen wir auf Tour. Vom Kirchhof in Kjerringøy geht es rauf zu einem Berg, von dem ich gerade den Namen vergessen habe. Steil und kaum als solcher zu erkennen, führt der Wanderpfad auf den namenlosen Berg hinauf. Es ist warm, um die Null Grad, und so fange ich bald an zu schwitzen in meiner leichten Daunenjacke. 

 


 

 

Wir machen einen Abstecher zu einer Hütte, die sich die Einwohner von Kjerringøy gebaut haben. Sie besteht aus Birkenstämmen und sieht eher aus wie ein Zelt. Innen befinden sich ein Ofen und drei Bänke. In dem kleinen Raum, in dem man nur geduckt sitzen kann, haben die Einheimischen früher öfter mal gefeiert. Jetzt gehen eigentlich nur noch Schulklassen dorthin.

 


 

 

Da der Aufstieg zur Hütte so anstrengend war, wollen wir den Weg abkürzen und gehen quer durch das Gebüsch. Das ist wirklich nicht einfach. Immer wieder versinken wir in Schneelöchern, der vereiste, felsige Untergrund macht ein Fortkommen beschwerlich. Irgendwann halte ich mich an Tierfährten. Hier sind Elche lang gegangen. Wo ein Elch durchkommt, wird uns das auch gelingen, denke ich, und ich habe Recht. Die Elche wissen, wo es langgeht. Schließlich stehen wir an einem Aussichtspunkt und blicken auf Kjerringøy herunter. In der Ferne kann man die Lofoten sehen.

 


 

 

Vor uns liegt Karlsøya, die Insel, auf der die Eltern von Kjetil gelebt haben. Wir meinen, das kleine, weiße Haus zu entdecken, das einzige auf der Insel. Jetzt leben nur noch wilde Schafe dort. Kurz stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, so einsam zu leben. In einem weißen Haus auf einer weltentrückten Insel. Als Gesellschaft hätte ich die Tiere des Meeres und der Lüfte, meine Ziegen und eine Katze.

 

Gunn Marit und Rainer tauschen Erinnerungen aus. Sie handeln Svalbard, von wilden Skitouren und davon, wie leicht das alles einem früher gefallen ist. Heute sind wir schnell müde – vor allem ich. Ich bin es einfach nicht gewohnt, im Schnee zu gehen. Mir fehlen die kleinen Muskeln, um mich zu stabilisieren. Ich torkele durch den Schnee wie eine Bärin, die gerade aus dem Winterschlaf aufgewacht ist. Wir kehren um, ohne auf dem Gipfel gewesen zu sein.

 

Abends, um neun Uhr, machen Rainer und ich noch einen Spaziergang in Loter. Wir nehmen Brot für die vier Kühe mit, die dort leben. Sie haben keinen Stall, sondern einen GPS Empfänger umhängen. Per GPS wird die Region eingegrenzt, in der sich die Tiere frei bewegen können. Kommen sie zu nah an die Straße, sendet das GPS Halsband einen leichten Stromschlag. Im Wald von Loter ist es stockfinster. Unsere Stirnlampen streifen Erlen, Fichten, Moos und moorige Schneisen. Ziemlich schnell raschelt es neben uns. Die Kühe sind da. Sie trotten hinter uns durch den Wald zum Futtertrog. Dort wirft Rainer das Brot hinein. 

 


 

 

Am Ufer des Meeres, das hier ganz seicht und tangbewachsen ist, steht eine Bank, auf der Rainer und ich Platz nehmen. Wir schalten die Stirnlampen ab und langsam verdeutlichen sich die Konturen der Bäume und Berge um uns herum. Der Mond ist hinter dichten Wolken versteckt. Es ist dunkel und still, man hört nur den Wind über die kahlen Äste streifen.  

 

Auf dem Rückweg verfolgen uns acht leuchtend gelbe Augenpaare. Es sind die Kühe, die mehr Brot wollen. Langsam trotten sie hinter uns her. Mir wird das unheimlich. Die Tiere sind so groß, sie könnten uns einfach umrennen, um an den duftenden, leeren Sack mit dem Brot zu kommen. Aber sie bleiben so friedlich, wie Kühe nun einmal sind.

 

In Indien ist die Kuh heilig und ich kann verstehen warum. Diese Geschöpfe sind so freundlich, auch miteinander. Sie lieben ihre Herde, sie lecken sich gegenseitig ab oder tollen gemeinsam herum. Natürlich gibt es auch die eine oder andere Rauferei am Futtertrog, aber es dauert meist nicht lange, bis alles geklärt ist. Ich hätte nie gedacht, dass ich in diesem Urlaub so viel über die Kuh lernen würde. Wie gerne sie gestreichelt wird. Wie aufmerksam sie mit ihren Kälbern ist. Mit wie viel Würde und Anmut sie sich bewegt. Wäre das nicht ein Polarblog, es könnte ein Kuhblog werden.


Kommentare

  1. Schön, mit Euch zu reisen. Das Kuhbild ist klasse. Weiterhin viel Spaß und möge die Wolkendecke mal aufreißen und das Polarlicht preis geben.

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