Nebel und graue Theorie


Es ist länger Nacht als Tag. Und wenn es dann am späten Vormittag hell wird, wird das Licht durch dicke Wolken und Nebel abgeschirmt. Eigentlich sollte um diese Jahreszeit alles gefroren sein. Doch die Temperaturen liegen rund um Null Grad. Viel zu warm hier im Norden. Im Schneeregen fahren Rainer und ich in Richtung Tårnvika, der letzte Ort, den man noch per Straße erreichen kann. Im Vormittagsprogramm des norwegischen Fernsehens läuft täglich eine Sendung mit dem Titel: "Unglaublich, dass hier einer wohnt". Obwohl Tårnvika nach deutschen Maßstäben durchaus in diese Kategorie fallen könnte, ist der Ort hierzulande nichts Besonderes. Ein paar Häuser, einige alte Fischerhütten, die zu Ferienhäusern umgebaut wurden und die obligatorische Milchkanne bilden den Ort. Diese Milchkannen stehen in ihrem eigenen kleinen Häuschen am Straßenrand. Warum wissen wir nicht.


Zwischen Tårnvika und Strånda, wo wir wohnen, gibt es einen Abschnitt ohne Hochspannungsmasten. Hier werden wir unsere Versuche mit den Audioaufnahmen starten. Wir stehen auf den Granitfelsen und alles ist in Nebel getaucht. Neben dem Rauschen der Wellen hören wir die Schreie von Adlern. Einer dieser Vögel erhebt sich majestätisch von einem Felsen im Meer und fliegt über unsere Köpfe. Später werden wir noch Rentieren begegnen. Wie bei uns die Rehe, stehen sie in den Vorgärten und fressen die leckeren Triebe von den Sträuchern ab. Rainer und ich sind zwei Stunden auf der Landstraße unterwegs. Wir sehen kein einziges anderes Auto. 


Unsere Ausrüstung ist beinahe vollständig. Eine große Drahtspule fehlt noch, die werden wir hier bauen. Dann kann es losgehen mit den Aufnahmen. Um zu beschreiben, was wir aufzeichnen wollen, muss ich ein wenig ausholen. Im ausgehenden 18. Jahrhundert berichten Telegrafisten von merkwürdigen Tönen, die sie über ihre Drähte hören können.


Auch Nikola Tesla empfängt 1899 Signale, die er als Stimmen von Marsianern deutet. Tatsächlich handelt es sich um elektrische Teilchen des Sonnenwindes, die in die Atmosphäre eindringen oder um Blitzentladungen rund um den Globus. Jahrhundertelang bleiben diese Töne unbemerkt. Erst als die Menschen in der Lage sind, elektrische Signale zu empfangen und sie hörbar zu machen, wird man auf diese seltsamen Geräusche aufmerksam.


Jetzt kommt ein wenig graue Theorie: Was wir hören können, sind Schallwellen. Die Tonhöhe der Schallwellen wird durch die Frequenz bestimmt - die Anzahl der Schwingungen einer Schallwelle pro Sekunde. Die Maßeinheit dafür lautet Hertz. Je höher die Hertzzahl, desto höher der Ton. Das menschliche Ohr ist für Frequenzen von 16 bis maximal 20 000 Hertz empfindlich. Jetzt gibt es aber auch Wellenbereiche, die wir nicht hören können und das sind die elektrischen und magnetischen Felder. Uns fehlt dafür ein Sinn, wie ihn manche Tiere haben. Doch mit den entsprechenden Antennen und Empfängern sind wir in der Lage, die für uns unhörbaren Ereignisse in hörbaren Schall umzuwandeln. Ein Beispiel dafür ist Radio. Wenn wir neben einem Sendemast stehen, können wir die Radiowellen nicht hören - außer wir haben einen Radioempfänger dabei. Er übersetzt die Radiofrequenzen in Schallwellen. 


Unsere Antennen sind bereit. Wir werden uns überall umhören, Schallwellen auffangen und elektrische Teilchen, magnetische Phänomene und Naturerscheinungen. Wir hoffen auf gutes Empfangswetter.
 


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Liebe des Grafen Zahl

Nordwärts

Zaunbäuerin