Dicke Fische


Das leise Rufen des Polarlichts hat Rainer auf dem Computer mit einem Spezialprogramm von den Umgebungsgeräuschen getrennt. Das Diagramm des Geräuschs sieht selbst aus wie ein Nordlicht. Mit großer Begeisterung spielt Rainer es immer wieder auf der Stereoanlage ab. 
Jetzt ist es auch hier richtig Winter geworden. Der feuchte Nebel hat sich verzogen und die Wolken rießen immer mehr auf. Wir nutzen das schöne Wetter, um Aufnahmen an einem von Eis bedeckten Fluß zu machen. Doch das Wasser dort ist so still, dass einfach gar nichts zu hören ist. Dann ziehen wir weiter zum Hafen, machen aber vorher noch einen Stop im Supermarkt. Der ist klein, aber unglaublich gut sortiert. Der Laden versorgt alle auf der Halbinsel hier, die nicht die Fähre zum Festland nehmen können. Mit Blaubeerdickmilch, Rote-Beete-Salat und dem obligatorischen Becher Kaffee, der hier überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit getrunken wird, gehen wir zum Jachthafen. Auf einer Bank lassen wir uns unser Mittagessen im leichten Schneetreiben schmecken. 


Ich fotografiere Fischköpfe und Rainer lässt das Unterwassermikrofon kreisen. Jeden Abend speisen wir die leckersten Fische. Kjetil, der Fischer, gibt Svein jeden Tag einen Fisch für uns mit. Das Tier kommt im Ganzen und muss dann filettiert werden.


Wir bekommen nur die kleinen Exemplare von etwa 5 Kilogramm. Größere könnten wir in der kleinen Einbauküche nicht verarbeiten. Was übrig bleibt, wird eingefroren. Heute steht auf dem Speiseplan: Dorsch mit Dorschleber und Dorschrogen. Ein traditionelles Gericht, das von den Lofotenfischern gegessen wird. Es ist sehr vitaminreich und gibt Energie, die harte Arbeit machen zu können. Weil wir so weit im Norden sind, wächst kein Getreide mehr. Vereinzelt werden Kartoffeln oder Karotten angebaut, im Sommer gibt es Beeren. Anderes Obst und Gemüse wächst hier nicht. Die Vegetationsperiode ist sehr kurz und die Pflanzen müssen schnell groß und reif werden. Das funktioniert nur, weil im Sommer die Sonne nicht untergeht.
Nach dem reichhaltigen Essen gehe ich ins Bett und schlafe sofort ein. Das Klingeln meines Handys weckt mich. Rainer ist dran, er steht am Strand und hat gerade ein Nordlicht gesehen. Ich schaue durchs Fenster und tatsächlich: Über dem Kuhstall schlängelt sich ein wunderbares Nordlicht. Schnell ziehe ich mich an - lange Unterwäsche, Pullover, gefütterte Hosen, Anorak, Mütze, Handschuhe, Schal, dicke Socken, Stiefel - und gehe zum Strand. Das Nordlicht taucht auf und verschwindet dann wieder. Immer wenn wir gehen wollen, erscheint es wieder.


Selbst als ich schon fast wieder im Bett liege, spannt sich ein grüner Streifen über den Himmel. "Geh nicht", scheint es zu sagen.

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