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Gehen im Eis

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  Lausche auf die Weite, sie ruft dich zurück! Fridtjof Nansen   Für mich brechen die letzten Tage am Polarkreis an. Der Regen hat aufgehört und manchmal können wir auch die Sonne sehen. Tauwetter lässt die Eisfläche eines der großen Seen aufbrechen. Wir wandern auf der Zufahrt zu einem Wasserkraftwerk. Das Konzept Wanderweg als Mittel der Freizeitgestaltung ist hier in der Gegend unbekannt. Wo ein Weg ist, ist ein Ziel.   Wer sein Ziel noch nicht vor Augen hat, muss sich in wegloses Dickicht wagen, sich durch Moore tasten und über Felsen klettern – immer aufmerksam beobachtet durch die Seeadler, die über den Wanderern kreisen. Und wo man auch geht: Immer war schon einer vorher da. Die Erde ist markiert mit dem Kot von Elchen, Rentieren, Schafen, Kühen. Sogar ein Lama gibt es. Wir entdecken das Tier auf einer Weide am Weg. Lamas sollen die Lämmer vor den Füchsen schützen.        Es gibt ein Buch von Werner Herzog: „Vom Gehen im Eis.“ Der Verfasser bricht

Auf dem Berg

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Als ich morgens aufwache, scheint die Sonne aus einem Wolkenloch auf die verschneiten Bergspitzen. Heute wird gewandert. Wanderwege sind hier höchstens Pfade, die sich durch Wachholder- und Blaubeer-Gestrüpp winden. Der Untergrund besteht aus rutschigen, vereisten Felsen. Gunn Marit hat sich einen Tag freigenommen und so gehen wir auf Tour. Vom Kirchhof in Kjerringøy geht es rauf zu einem Berg, von dem ich gerade den Namen vergessen habe. Steil und kaum als solcher zu erkennen, führt der Wanderpfad auf den namenlosen Berg hinauf. Es ist warm, um die Null Grad, und so fange ich bald an zu schwitzen in meiner leichten Daunenjacke.        Wir machen einen Abstecher zu einer Hütte, die sich die Einwohner von Kjerringøy gebaut haben. Sie besteht aus Birkenstämmen und sieht eher aus wie ein Zelt. Innen befinden sich ein Ofen und drei Bänke. In dem kleinen Raum, in dem man nur geduckt sitzen kann, haben die Einheimischen früher öfter mal gefeiert. Jetzt gehen eigentlich

Fischer an Land

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  Abends, als das selbst gemachte Sushi aus frischem Fisch gerade auf dem Tisch steht, kommt Kjetil der Fischer herein. Hier steht die Haustür immer offen. Spätestens auf der Fähre zurück zum Festland würden Diebe auffallen – man kennt sich in der Gegend. Kjetil setzt sich mit seiner zerrissenen, verfleckten orangenen Arbeitsjacke an den Tisch und guckt, wie nur Kjetil gucken kann. Da ich sein Norwegisch nur schwer verstehe, was sicher auch an dem Kautabak liegt, den er unter seine Lippe gestopft hat, habe ich Zeit, mir sein Gesicht anzusehen. Es ist ein freundliches Gesicht mit zornvollen Augen – fast wie eine dieser japanischen Samurai-Statuen.       Sushi will er nicht, er hat gerade ein Wienerbrød verspeist, ein Puddingteilchen. Als Svein ihm ein Stück Sushi anbietet, schaut er das Lachsmaki an, als würde es aus Polyester mit Bauschaumfüllung bestehen. „Nej“, entfährt es ihm. „Daran werdet ihr sterben“, bemerkt er düster. Kjetil isst lieber Würstchen. Auch ein

Dem Schnee beim Schmelzen zusehen

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  Was geschieht, wenn nichts geschieht? Unser durchgetaktetes Leben kommt hier zum Stillstand. Es gibt einfach gerade nichts zu tun, nichts zu entdecken, nichts zu erledigen.   Sonntag in Kjerringøy. Nach einem ausführlichen Frühstück ziehen wir uns Regenkleidung an und gehen ein wenig spazieren. Wanderwege gibt es hier nur einige wenige. Wenn man am Meer entlang gehen möchte, muss man über Felsen klettern und durch aufgeweichte moorige Wiesen gehen, auf denen eine Art Heidekraut wächst. Der Wind ist wieder stärker geworden. Weiße Gischtteufel reiten auf den Wellen draußen im Fjord. Nah am Ufer schaukelt eine rote Boje, die sich von einem Fischernetz losgemacht hat – ein leuchtender Farbfleck in der grau-braun-blauen Landschaft. Im aufgeweichten Schnee sehen wir Elchspuren. Über uns kreisen zwei neugierige Seeadler.   Auf dem Weg zurück laufen wir über die verwitterte Landstraße. Etwa jede halbe Stunde fährt ein Auto vorbei. Ansonsten ist es still. Der Schotte

Die Liebe des Grafen Zahl

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  Beim Aufwachen hat sich der Sturm gelegt, doch nun regnet es in Strömen. Auf dem gefrorenen Boden entstehen große Wasserlachen. Weil wir uns gestern so viel Zeit mit den Zäunen genommen haben, steht heute der Almauftrieb bevor. Das heißt, die Jungbullen müssen von den Kühen getrennt werden und auf eine neue Weide umziehen.  Aber zuerst frühstücken wir. Als eine Stunde danach der kleine Hunger erscheint, gehen wir ins örtliche Café im Gamle Handelssted. Dort haben wir die Auswahl unter sehr leckeren Torten. Unser Urteil: Am besten schmeckt „verdens beste“. Die „Weltbeste-Torte“ wurde in einem nationalen Entscheid vor ein paar Jahren zu Norwegens bestem Backwerk gekürt. Sie besteht aus einem dünnen Bisquitteig, gefüllt mit Mandel-Eier-Buttercreme und einem Eischnee-Deckel. So gestärkt sehen wir uns einen kleinen Film im Handelssted an. Das Museum dieses alten Handelspostens ist noch nicht geöffnet, aber der Film läuft schon.    

Zaunbäuerin

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  Als die Mannschaft der Belgica 1897 ins Packeis der Antarktis aufbrach, hatte sie eine halbe Tonne Dynamit an Bord, um sich den Weg nach Hause freizusprengen. Zuverlässiger als Dynamit ist der Klimawandel. Die dicke Eisschicht, die uns am ersten Abend noch empfangen hat, beginnt wegzuschmelzen.   Eigentlich wollten wir auf der Suche nach der Stille an den Fjorden lustwandeln und die eine oder andere Aufnahme machen von schmelzendem Eis oder dem stärker werdenden Wind. Doch wie das in der Arktis nun mal ist – gutes Wetter ohne Schnee oder Regen muss man ausnutzen. Und so werden heute Zäune geflickt. Gunn Marit, Rainer und ich gehen zu der Weide am Strand. Hier hat ein Sturm vor ein paar Wochen ganze Arbeit geleistet. Die Zaunpfähle sind schief und die Drähte in einer Masse von Tang und Sand eingefroren. Unmöglich, sie daraus zu lösen. Während Rainer mit der Hilti Löcher für neue Pfosten in den vereisten Strand bohrt, gehen Gunn Marit und ich auf die Suche nach Dr

Nordwärts

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  An diesem ersten Tag im Norden wird tatsächlich ein Schneebaby geboren. Doch dazu später. Erst einmal machen wir uns um 5.30 Uhr morgens auf den Weg nach Frankfurt. In einer Frühlingsregenflut fahren wir zum bewährten Parkplatz und mit dem bewährten Shuttlebus aufs Flughafengelände. Im Bus schaut mich eine blonde Frau strahlend an. Ich merke, sie möchte mir unbedingt etwas erzählen und ich täusche mich nicht. Sie ist auf dem Weg in die Karibik, ihr Mann hat ihr eine Kreuzfahrt zum 60. Geburtstag geschenkt. Am Flughafen trennen sich unsere Wege – sie fliegt nach Süden, wir nach Norden.   Unser erster Flug bringt uns nach Oslo. Seltsam – ich habe den Eindruck, dass die gleiche Reisegruppe, die uns schon vor vier Jahren begleitet hat, wieder im Flieger sitzt. Drei Männer aus der Vorderpfalz, die wohl beruflich nach Oslo unterwegs sind und die über ihre Arbeitskollegen sprechen. Mir kommen die Schicksale vage bekannt vor. Vier Jahre sind seit dem letzten Mal vergang