Die Liebe des Grafen Zahl


 

Beim Aufwachen hat sich der Sturm gelegt, doch nun regnet es in Strömen. Auf dem gefrorenen Boden entstehen große Wasserlachen. Weil wir uns gestern so viel Zeit mit den Zäunen genommen haben, steht heute der Almauftrieb bevor. Das heißt, die Jungbullen müssen von den Kühen getrennt werden und auf eine neue Weide umziehen. 


Aber zuerst frühstücken wir. Als eine Stunde danach der kleine Hunger erscheint, gehen wir ins örtliche Café im Gamle Handelssted. Dort haben wir die Auswahl unter sehr leckeren Torten. Unser Urteil: Am besten schmeckt „verdens beste“. Die „Weltbeste-Torte“ wurde in einem nationalen Entscheid vor ein paar Jahren zu Norwegens bestem Backwerk gekürt. Sie besteht aus einem dünnen Bisquitteig, gefüllt mit Mandel-Eier-Buttercreme und einem Eischnee-Deckel. So gestärkt sehen wir uns einen kleinen Film im Handelssted an. Das Museum dieses alten Handelspostens ist noch nicht geöffnet, aber der Film läuft schon.

 


 

Er handelt von Anna Elisabeth Sverdrup, der „Mutter von Kjerringøy.“ Früh verwitwet führt die kinderlose Anna das Handelskontor ihres verstorbenen Mannes weiter. Ein sehr einträgliches Geschäft im frühen 19. Jahrhundert. Anna kauft die Fische, die auf den Lofoten gefangen werden und verkauft sie weiter nach Bergen. Ihr gehört ein Gasthaus und ein Laden, in denen die Fischer ihren Lohn gleich wieder ausgeben. Nach dem Tod ihres Mannes ist die Witwe eine begehrte Partie. Und so macht sich Erasmus Zahl, Großhandelskaufmann der Hanse und 25 Jahre jünger als sie, unentbehrlich bei Anna Elisabeth. Zusammen studieren sie die Buchhaltung. Er beweist ihr seine Liebe zu Ziffern und sie entdeckt ihre Liebe zu Zahl. Dem Materiellen zugetan, reisen sie schon vor ihrer Hochzeit in die Flitterwochen nach Berlin, Danzig und Hamburg – um bestes Porzellan und teuren Champagner einzukaufen. Alleine die Champagner-Rechnung beläuft sich auf die Summe, die Anna Elisabeth ihren zehn Hausmädchen für die Dauer von zwei Jahren zahlt. Während Anna Elisabeth und Erasmus in brokatbesetzten Himmelbetten schlafen, teilen sich die Hausangestellten zu mehreren ein Bett in der ungeheizten Dachkammer. Als Anna Elisabeth 83-jährig bei einem Treppensturz stirbt, ist es mit dem Reichtum der Familie Zahl vorbei. Erasmus wendet sich dem Glauben zu. Er baut eine Kirche, bezahlt den Pfarrer und erlässt den Ärmsten ihre Schulden. Der Geschäftssinn seiner Frau aber, der scheint ihm zu fehlen. Er investiert statt in Fisch in Kohleminen und Eisenbahnen und verliert sein großes Vermögen. 

 


Zurück auf dem Bauernhof ziehen wir uns unsere Arbeitskleidung an. Hat ja keinen Zweck, die Kühe warten. Beziehungsweise sie tun das, was sie den ganzen Tag schon tun: fressen. Die Tiere vom Fressnapf wegzutreiben erweist sich als sehr schwierig. Die kleinen Kälbchen haben neben Futtern noch etwas anderes im Sinn: spielen. Ein etwa 200 Kilo schweres Kalb drückt seine Stirn an mein Bein und will gekrault werden. Während ich sein lockiges Haupt bearbeite, lutscht es begeistert an meinem Bein. Das wollen die anderen auch und springen auf mich zu. Ich werde geschubst und jeder will jetzt Streicheleinheiten. Das wird mir dann doch zu viel und ich wedele mit den Armen, um sie auf Abstand zu halten. Nach einigen erfolglosen Versuchen, die Tiere von ihrer Futterraufe in ein Gatter zu treiben, gelingt es uns schließlich doch. Die weiblichen Kälber bleiben hier, die Jungs kommen, zusammen mit den drei ausgewachsenen Bullen, auf eine neue Weide.

 

Svein geht mit einem Eimer Futter voran und gemächlich trottet die Herde los. Gunn Marit und ich treiben die Kälber mit Hilfe einer roten Plastikstange voran. Vor der hat seltsamerweise auch Bomba Respekt, der 1200 Kilogramm schwere Chefbulle, der auf den ersten Metern der neuen Weide natürlich sofort sein Revier markieren muss. Schnaubend reibt er seinen massigen Kopf an einer Birke. Der Baum biegt sich durch und bricht fast ab. Bomba kriegt sich kaum noch ein, er scharrt mit den Hufen und schüttelt sich und den Baum. Nach zehn Minuten bestimmt er, dass es jetzt weitergeht. Die kleinen Jungspunde haben sich da schon auf einen Granitfelsen zurückgezogen und versuchen sich gegenseitig runterzuschubsen. Mit Anlauf rennen sich aufeinander zu und schlagen ihre Köpfe zusammen. Es ist ein großer Spaß für alle – nur nicht für die Bauern. Wir staken durch den aufgeweichten Matsch, rutschen mit unseren Gummistiefeln über glasige Eisplatten und treten in schneebedeckte Löcher. Währenddessen galoppiert die Herde den Hang hinunter zum Strand. Sie haben den Futtertrog entdeckt – jetzt gibt es kein Halten mehr. Man hat ja schließlich schon fast eine Stunde lang nichts mehr gefressen. Die Aufregung legt sich so schnell wie sie gekommen ist. Alle stehen einträchtig nebeneinander und kauen, während die Sonne langsam im eisgrauen Meer versinkt.


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