Zaunbäuerin


 

Als die Mannschaft der Belgica 1897 ins Packeis der Antarktis aufbrach, hatte sie eine halbe Tonne Dynamit an Bord, um sich den Weg nach Hause freizusprengen. Zuverlässiger als Dynamit ist der Klimawandel. Die dicke Eisschicht, die uns am ersten Abend noch empfangen hat, beginnt wegzuschmelzen.

 

Eigentlich wollten wir auf der Suche nach der Stille an den Fjorden lustwandeln und die eine oder andere Aufnahme machen von schmelzendem Eis oder dem stärker werdenden Wind. Doch wie das in der Arktis nun mal ist – gutes Wetter ohne Schnee oder Regen muss man ausnutzen. Und so werden heute Zäune geflickt. Gunn Marit, Rainer und ich gehen zu der Weide am Strand. Hier hat ein Sturm vor ein paar Wochen ganze Arbeit geleistet. Die Zaunpfähle sind schief und die Drähte in einer Masse von Tang und Sand eingefroren. Unmöglich, sie daraus zu lösen. Während Rainer mit der Hilti Löcher für neue Pfosten in den vereisten Strand bohrt, gehen Gunn Marit und ich auf die Suche nach Draht. Wir wickeln ihn von alten Zäunen ab und stapfen mit unserer Beute durch sulzigen Schnee, über gefrorenen Sand und glattes Eis. Im Laufe der Stunden kommt neuer Wind auf, der sich zu einem Sturm auswächst. Jetzt wird es noch schwieriger, das Gleichgewicht auf dem unsicheren Untergrund zu halten.

 

Meine Beine werden müde und die Arme schmerzen. Irgendwann lassen wir unser Werkzeug einfach am Strand liegen und laufen ins Haus. Erst einmal etwas essen. 

 


 

Abends tost der Wind um den Bauernhof. Die Böen werden immer stärker. Frühlingswetter 200 Kilometer hinter dem Polarkreis. Das Nordlicht versteckt sich hinter schwarzen Wolken. Im Matkroken, dem örtlichen Supermarkt, herrscht gute Stimmung. Svein kauft für Eva ein. Eva haben wir vor vier Jahren getroffen. Sie lebte alleine mit ihrer Katze in einem Haus in Tranvika und berichtete uns von ihrem Leben als Schiffsstewardess. Nun wohnt sie in einer Senioreneinrichtung im Ort, hat Svein und Gunn Marit ihr Haus verkauft und hortet anscheinend Lebensmittel. Während Svein den Einkauf, der eine Großfamilie über die Woche bringen könnte, aufs Band lädt, stellt er mich der hübschen Asiatin an der Kasse vor. Ich verstehe nichts, nur meinen Namen und so etwas wie „netter Besuch.“ 

 

Mein Norwegisch gründet sich auf die Webseite von NRK – eine Mischung aus tageschau.de und Bildzeitung. Sehr unterhaltsam. Die Politik-Artikel verstehe ich ganz gut, denn da weiß ich, um was es geht. Auch mit den zahlreichen Berichten über Missstände in Krankenhäusern, exotische Leiden oder Altenheime des Grauens komme ich inzwischen ganz gut zurecht. Eine wiederkehrende Rubrik am Anfang des Winters ist „Sommerdekk“ über Zeitgenossen, vorzugsweise spanische LKW-Fahrer, die keine Winterreifen aufziehen und im Graben landen. Garniert wird das Ganze mit Rezepten von Lisa Finckenhagen und dem Fernsehprogramm.  



In der heutigen Ausgabe von NRK.no geht es unter anderem um die Probleme von Rollstuhlfahrern bei Glatteis, den Weltrekord im Wäscheklammern am Gesicht befestigen und um Gesas Rezept für Marzipankuchen.

 

Am Abendbrottisch reden wir davon, ob wir uns das Leben, das wir auf Kosten der Natur führen, noch lange werden leisten können. Doch der Zaunbau fordert seinen Tribut. Um zehn Uhr liegen wir im Bett.

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