Schneebaby


 

Die Arktis-Sehnsucht ist eine seltsame Sache. Warum kehren fast alle Entdecker, die in den hohen Norden aufbrechen, immer wieder dorthin zurück, obwohl die meisten von ihnen ihre Expeditionen nur knapp überleben? Was treibt sie dazu, sich mit ihren Schiffen im Eis einfrieren zu lassen, zu Fuß schwer beladene Schlitten durch Schneelandschaften zu ziehen und Erfrierungen, Hunger, Einsamkeit und Skorbut zu trotzen?

 

Gewiss sind es der Entdeckergeist und die Hoffnung, einen weißen Flecken auf der Landkarte mit den eigenen Erfahrungen füllen zu können. Wie ein Tintenfleck sind die Erlebnisse der frühen Polarreisenden über die Landkarten gelaufen – und jetzt? Jetzt ist dort kein leerer Raum mehr. Die Ersten können wir nicht mehr sein. Wir frieren nicht mehr ein, wir reisen klimatisiert mit On-Board-Entertainment und wir takten unsere Reise nach den Urlaubstagen, die wir zur Verfügung haben. Welchen Grund sollten wir also haben, wieder in die Arktis zu fahren?

 

Am Donnerstag ist es soweit. Wir reisen ins Traumschneeland. „Die Natur muss gefühlt werden“ – diesen Satz aus einem Brief von Alexander von Humboldt an Goethe nehme ich mit auf die Reise nach Kjerringøy. Vor vier Jahren waren Rainer und ich dort, um die Klänge des Polarlichtes einzufangen. Dieses Mal sind wir auf der Suche nach der Stille, die in Eis und Dunkelheit entsteht und alleine dort ihr eigenes Leben bekommt. Die Stille ist im eisigen Norden zuhause. Wir werden sie jagen, anzapfen, einfangen, oder einfach auf ihr Erscheinen warten.

 

1891 schloss Josephine Peary sich dem Expeditionsteam ihres Mannes Robert E. Peary an und überwinterte in der Arktis. 1893, während Pearys zweiter Grönland-Expedition, brachte sie in der Expeditionshütte ihre Tochter Marie Ahnighito zur Welt. Die Inuit konnten das Wunder kaum fassen: Das Kind war so weiß, dass sie es Schneebaby nannten.

 

Das Schneebaby ruht in mir. Ich warte auf seine Geschichten.

 

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